Congenitale Neutropenie

Congenitale Neutropenien (CN) sind durch eine dauerhafte Verminderung der neutrophilen Granulozyten im Blut und eine daraus resultierende erhöhte Anfälligkeit für bakterielle und Pilz-Infektionen charakterisiert. Sie kommen allein oder in Verbindung mit Stoffwechselstörungen, neurologischen Auffälligkeiten, Organfehlbildungen, Skelettveränderungen oder Gedeih Störungen als syndromale Erkrankungen vor. In der Regel findet sich im Knochenmark ein Ausreifungsstopp der Myelopoese auf der Stufe der Promyelozyten oder Myelozyten und eine daraus resultierende schwere Neutropenie mit absoluten Neutrophilenzahlen <200/µl bei normaler Zellularität des übrigen Knochenmarks. Ohne Therapie treten schwere, zum Teil lebensbedrohliche bakterielle Infektionen meist bereits im frühen Kindesalter auf. Bis heute wurden Krankheit verursachende Mutationen in mehr als 20 Genen beschrieben. Bei der Mehrzahl der CN-Patient*innen ist die Erkrankung autosomal dominant vererbt, die rezessiven Formen der schweren angeborenen Neutropenie sind gehäuft bei Kindern konsanguiner Eltern zu beobachten. Zusätzlich gibt es Patient*innen ohne eindeutigen Erbgang. Die Erkrankung tritt weltweit mit einer geschätzten Häufigkeit von 2 bis 4 Erkrankungen pro Million Einwohner bei identischem Geschlechterverhältnis auf. Unterschiede in der Häufigkeit sind vor allem auf kulturelle Einflüsse (z.B. Häufigkeit von Verwandtenehen) zurückzuführen. Wichtige Erkrankungen aus dieser Gruppe sind unter anderem CN mit ELANE Mutation mit autosomal dominanter Vererbung und CN mit HAX1 Mutation mit autosomal rezessiver Vererbung, zu welcher auch das Kostmann-Syndrom gehört, bei dem neurologische Symptome auftreten können. Zu den syndromalen Erkrankungen gehört das Shwachman-Diamond-Syndrom als Kombination einer Neutropenie mit einer Pankreasinsuffizienz und Gedeih Störung sowie einer Vielzahl weiterer unterschiedlich häufiger Zusatzsymptome, das Barth-Syndrom, das neben der Neutropenie durch eine dilatative Kardiomyopathie gekennzeichnet ist oder die G6PC3 assoziierte CN, bei der Patient*innen zusätzlich zur Neutropenie urogenitale und kardiale Fehlbildungen aufweisen können. Eine Sonderform ist die ebenfalls durch eine ELANE Mutation verursachte zyklische Neutropenie, bei der die Granulozytenwerte in einem regelmäßigen Abstand ansteigen und abfallen und nur vorübergehend stark vermindert sind.

Die Krankheitssymptome eines Patienten/einer Patientin hängen vom Schweregrad und der Dauer der Neutropenie ab. Je niedriger die Neutrophilenzahl ist, desto höher ist das Risiko für eine Infektion, insbesondere, wenn die Neutropenie länger als 3 Tage andauert. Zu den Infektionen, die häufig bei einer Neutropenie auftreten, gehören Gingivitiden und Ulzerationen der Mundschleimhaut, Mittelohrentzündungen, Tonsillitiden und Hautabszesse. Seltener treten Pneumonien und Abszesse der inneren Organe, wie Leberabszesse, auf.

Die Entdeckung hämatopoetischer Wachstumsfaktoren in den 80er-Jahren und ihre pharmakologische Verfügbarkeit, insbesondere des Granulozyten-Kolonien-stimulierenden Faktors (G-CSF), veränderten die Prognose für Patient*innen mit schweren Neutropenien maßgeblich. Während für die angeborenen Neutropenien vor der Zytokin-Ära die einzige Therapieoption in einer Knochenmarktransplantation bestand, können diese Patient*innen heute mit einer G-CSF-Dauertherapie erfolgreich behandelt werden.

Die Prognose der Erkrankungen hängt im Wesentlichen vom Therapieansprechen auf G-CSF, die Begleiterkrankungen und im Verlauf von der Entwicklung von Sekundärerkrankungen wie Leukämien ab.

Bei der geringen Inzidenz der einzelnen Erkrankungen sind die heutigen Erkenntnisse zu Pathophysiologie und klinischem Verlauf vor allem dem Aufbau eines internationalen Erkrankungsregisters für Neutropenie zu verdanken. Mit Hilfe dieser prospektiven Langzeitbeobachtungsstudie im Rahmen der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) können Daten eines größeren Kollektivs von Patient*innen mit Hinblick auf die Effektivität und Nebenwirkungen der Behandlung ausgewertet werden. Diese Langzeitbeobachtungsstudie wird zusätzlich eingebettet in europäische und internationale Kooperationen, um die Fallzahlen insbesondere der sehr kleinen genetischen Untergruppen zu erhöhen und sinnvolle Datenauswertungen zu ermöglichen. Derzeit umfasst die Datenbank des Europäischen SCN-Registers (SCNIR Europe) Informationen zu mehr als 900 Patient*innen mit verschiedenen angeborenen und erworbenen Neutropenien. Die Registerdaten zeigen, dass es im Verlauf nicht zur Erschöpfung der Myelopoese und Reduktion der Neutrophilenzahlen kommt. Die regelmäßige Analyse dieser Daten hat nicht zuletzt zu den heutigen Erkenntnissen über Leukämierisiko, Osteoporoseinzidenz und andere Krankheitsspätfolgen geführt. In Deutschland war das Neutropenie-Register bereits zwischen 2004 und 2013 Teil eines vom BMBF geförderten nationalen Netzwerkes zu angeborenen Störungen der Blutbildung, in dem Patientenregister zu den verschiedenen Blutbildungsstörungen wie Anämien, Neutropenien, Thrombozytopenien und Knochenmarkaplasie sowie Forschungsprojekte zu den jeweiligen Störungen zusammengeschlossen waren. Ziel dieses Netzwerkes war die vergleichende Analyse von Risikofaktoren der Leukämieentstehung, der Häufigkeit von Skelett- und Organdysplasien und dem Verlauf von Schwangerschaften der mittlerweile erwachsenen Patient*innen.

Seit 2004 erfolgt zudem eine Förderung der internationalen Zusammenarbeit des Registers durch das National Institute of Health.

Assoziierte Neoplasien

Patient*innen mit congenitalen Neutropenien haben ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines MDS und einer AML. Das Risiko für die Entwicklung chromosomaler Aberrationen, eines MDS und einer Leukämie liegen je nach Studie zwischen 15 % bis 20 %.

Bislang ist eine Knochenmarktransplantation die einzige kurative Behandlung für Patient*innen mit einem sekundären MDS oder einer Leukämie. Da sich die Prognose von Patient*innen mit einer sekundären Leukämie verschlechtert, besteht die derzeitige Strategie darin, Risikofaktoren für eine Leukämieentwicklung frühzeitig zu identifizieren und eine Stammzelltransplantation durchzuführen, bevor sich die Leukämie entwickelt.

Link zu weiteren Informationen

Selbsthilfegruppe Interessengemeinschaft Neutropenie e.V.  https://www.neutropenie-ev.de

SDS Alliance (USA) https://de.sdsalliance.org/

Kontakt

SCNIR Europazentrale

Kinderklinik der Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neubergstr. 1, 30625 Hannover

Tel.: 0511 557105

Fax: 0511 557106

E-Mail: scnir@mh-hannover.de

Klinische Ansprechpartnerin:

Dr. med. Cornelia Zeidler
E-mail: Zeidler.Cornelia@mh-hannover.de